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Teil von Etwas Größerem

Wo es uns hinverschlagen hat

Keine Ahnung, ob du eine Vorstellung hast, wie es im ländlichen Afrika aussieht. Wir hatten lange Zeit keine. Wenn vom „Dorf“ die Rede war, haben wir uns so in etwa ein deutsches Dorf vorgestellt, halt ein bisschen einfacher, mit ein bisschen mehr Stroh und roter Erde. Was uns dann bei unserem Umzug Ende April hier im „Dorf“, unserem neuen Zuhause, erwartete, war vor allem eins: anders.

 

 

Nun muss man dazu sagen, wir sind ja nicht einfach irgendwo in der Wildnis ausgesetzt worden oder in irgendeinem beliebigen Dorf. Wir sind aufs Gelände des Schulungs- und Ausbildungszentrums „Chisomo“ (=Gnade) gezogen, einem Projekt der Liebenzeller Mission, in dem Malawier zu Pastoren und Schreinern ausgebildet werden. Mittlerweile wurde es in einheimische Hände übergegeben. 

 

Hier wohnen wir, angrenzend an mehrere kleine Dörfer, mittendrin im Alltag der Menschen, ohne Zäune, ohne Mauern. 100 Meter hinter unserem Haus wohnen Menschen in Backsteinhäusern mit Gras Dach, gehen 15min zu Fuß zum nächsten Brunnen, arbeiten mit der Hacke auf dem Feld und kochen über dem Feuer. Direkt an unserem Haus vorbei führt der Weg zu einem nahegelegenen Wasserloch, in dem die Frauen und Mädchen Wäsche waschen. 

 

 

Unterschiedliche Lebensrealitäten

Klingt alles ganz romantisch, ist aber auch total krass. Da brauchen wir gar nicht lange über Armutsdefinitionen nachdenken, sondern einfach aus dem Fenster schauen. Ja, krass. Vor allem, wenn wir dann vergleichen, wie wir leben. Bei uns kommt das Wasser aus dem Wasserhahn, wir haben recht stabilen Solarstrom und kochen auf unserem Gasherd. Bevor wir kamen, wurde das Haus extra noch auf unsere Bedürfnisse angepasst, Bad und Küche ins Haus verlegt und das Blechdach um einige Zentimeter angehoben, damit wir in der heißen Jahreszeit nicht komplett vergehen. Okay, unsere Waschmaschine ging die ersten 2 Monate nicht. Wow.

 

Obwohl wir jetzt Tür an Tür wohnen, klaffen unsere Lebensrealitäten doch so unglaublich weit auseinander. Überspitzt gesagt: Was wir bei einem Monatseinkauf in der 4 Stunden entfernten Stadt Blantyre ausgeben, verdienen die Menschen hier im Dorf wahrscheinlich nicht in einem Jahr. Die meisten verdienen überhaupt kein Geld, sondern leben von dem, was sie selbst anbauen. Und das im Jahr 2022 mehr schlecht als recht. Kann man da noch ruhig schlafen, geschweige denn sich auf Stadtfahrt „auch mal was gönnen“? Was geht dir durch den Kopf, wenn du weißt, dass 100 m hinter deinem Haus Menschen zeitweise mit Hunger ins Bett gehen (= sich auf ihre Bambusmatte legen)? Wie begegnet man dem immer wiederkehrenden Fragen nach Geld oder Arbeit?

 

 

Wir sind Teil von etwas Größerem

In diesem Ringen um das richtige Maß, die richtige Einstellung ist es ganz entscheidend für uns, dass wir nicht alleine hier sind. Zwar sind wir hier die einzigen Deutschen und zusammen mit einem kanadischen Ehepaar die einzigen Weißen weit und breit und doch: Wir sind Teil von etwas Größerem. Und das gilt auf verschiedenen Ebenen.

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Nachbarn, Freunde, Ratgeber

Da ist zum einen das Projekt Chisomo. 1993 gegründet und mittlerweile ein fester Bestandteil des Alltags der Menschen. Für uns wie ein gemachtes Nest. Nicht nur, dass wir in den malawischen Mitarbeitern Freunde gefunden haben, die uns beim Sprachelernen zur Seite stehen und uns mit in ihre Kultur hineinnehmen. Auch sie gelten hier im Dorfkontext als wohlhabend und leben auf einem höheren Standard. Wenn wir unseren Lebensstandard mit ihrem vergleichen, ist da immer noch ein großer Unterschied, aber eben auch Überschneidungen. Nicht nur bei uns klopfen Dorfbewohner an die Türe und fragen nach Arbeit oder finanzieller Unterstützung, nicht nur wir stehen vor der Herausforderung, wie man den Menschen hier am besten helfen kann. Ganz im Gegenteil:

Die malawischen Leiter und Mitarbeiter des Projekts sind hier diejenigen, die die Hauptverantwortung tragen. Sie sind die Gesichter des Projekts. Sie waren hier vor uns und werden auch noch da sein, wenn wir wieder gehen. Wir haben hier Rookie-Status und können uns bei ihnen wertvolle Lektionen abholen, wie wir das, was wir haben, teilen und Beziehungen mit den Menschen im Dorf leben können. 

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Wir sind hier nicht die Ersten

Teil von etwas Größerem – das gilt auch für unseren Arbeitgeber und unsere Kollegen. Ganze 3 der 5 Ehepaare in unserem Team haben schon hier auf Chisomo gelebt, unter anderem bis zu 10 Jahren. Das ist ein Erfahrungsschatz, den wir immer wieder anzapfen, hier können wir uns Orientierung abholen. Als LMI-Malawi beraten wir uns und ringen um Lösungen, wie man den Problemen begegnen kann. Herausfordernde Fragen wie z.B. effektive Hungerhilfe an den jeweiligen Standorten werden gemeinsam angegangen und lasten nicht allein auf unseren Schultern.

Dieser Rückhalt ist enorm wichtig für uns. Und es tut gut zu wissen, dass unsere Arbeit auf dem guten Grund aufbaut, der über Jahre gelegt wurde. Und doch merken wir auch, dass wir eigene Schritte gehen müssen. Die Erfahrungen anderer und auch die tollsten Geschichten helfen uns nichts, wenn wir nicht selbst Dinge ausprobieren und dabei auch mal auf die Schnauze fallen.

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Your kingdom come, your will be done

Letztlich sind wir auch auf einer dritten Ebene Teil von etwas Größerem. Rausgezoomt auf das große Ganze. Wir sind Teil eines globalen Umbruchs, der in jedem Land dieser Welt und darüber hinaus langsam Gestalt annimmt. Und zwar die Versöhnung und Wiederherstellung der Schöpfung mit ihrem Schöpfer. So wie die Welt jetzt ist, wird sie nicht bleiben. Es wird einen Tag geben, an dem alles Leiden, alle Not ein Ende haben werden. Klingt crazy aber ja, das glauben wir wirklich. Umso mehr, seit wir in Malawi leben.

Wenn wir eines in unserer bisherigen Zeit in Malawi gelernt haben, dann, dass es angesichts der vielen Probleme in Malawi aber auch weltweit nur eine Lösung, nur eine Hoffnung geben kann. Die Restoration und Wiederherstellung der Schöpfung durch den Schöpfer selbst. Natürlich können wir selber anpacken und etwas bewirken, die Welt zu einem besseren Ort machen. Und das sollten wir auch. Vermutlich sogar noch viel hingegebener und viel leidenschaftlicher, als wir das bereits tun. Aber nur wenn wir es gemeinsam mit dem Gott tun, der Herzen verändern kann, werden wir die Realitäten um uns herum auch wirklich verändern können.

 

 

Unsere kaputte, friedlose und ungerechte Welt wird erneuert, versöhnt und wiederhergestellt werden (Die Bibel, Kolosser 1,20). Nach Jesaja 61,1 ist es Gott selbst, der kommt,

 

 

 

Aus diesem frommen Wunsch ist für uns eine starke und reale Hoffnung geworden. Wir dürfen wissen, dass da etwas im Gange ist, das größer ist als wir und was wir auf dieser Welt bewirken können. Diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, hängt zum Glück nicht an menschlichen, allzu oft ungenügenden oder unzureichenden Versuchen. 

 

Es hängt nicht an uns. Und schon gar nicht daran, ob wir abends mal eine kühle Coke trinken oder nicht.