· 

Fast Forward: Zwischen Zeiten und Neuanfängen

Was, schon Juni?

Die letzten Wochen und Monate war es ziemlich still hier auf unserem Blog. Dass wir nicht richtig zum Schreiben kamen, lag vielleicht daran, dass wir unglaublich viel unterwegs und irgendwie auch ein bisschen zerstreut waren. Vielleicht aber auch daran, dass wir nicht so richtig wussten, über was wir denn sprechen sollen, oder einfach nicht in Stimmung dafür waren, etwas zu schreiben.

 

Mit etwas Abstand sieht das schon anders aus. Und uns wird rückblickend bewusst, wie unglaublich intensiv und vollgepackt die Wochen seit Abschluss unserer YWAM-Zeit dann doch waren. Und, dass es ein Trugschluss war zu hoffen, dass wir nach dem anstrengenden Abenteuer YWAM (siehe letzter Blogeintrag) nur noch mit kühlen Drinks in Pools liegen würden. Zum einen, müssen wir uns ganz klar eingestehen, hatten wir die Regenzeit in unseren Fantasien irgendwie ausgeblendet. Und zum anderen waren wir in unserem Urlaub im Februar dann erst mal beide krank und zwar nacheinander. Yay. 

Aber der Reihe nach.

Ursprünglich war geplant, dass wir:

  1. unsere Zeit hier in Malawi bei YWAM starten, dort unser Englisch verbessern und malawische Jugendkultur kennenlernen;
  2. danach dann in unser frischrenoviertes Haus aufs Dorf ziehen, um
  3. dort letztlich für 1,5 Jahre zu leben und malawische Kultur und Sprache zu lernen.

Erstmal ganz kurz: Ja, unsere Vorbereitungszeit ist verdammt lang. Und ja, der Fokus liegt in den ersten 2 Jahren mehr darauf zu lernen und weniger schon Vollgas zu geben. Wie es uns damit geht, darüber schreiben wir ein andermal.

 

Punkt 1 dieser Liste lief einigermaßen wie geplant. Wir sind sehr dankbar für die 5 Monate bei YWAM, doch hatten wir währenddessen große Sehnsucht, endlich mal wo anzukommen (wir sind im Juli 2020 aus unserem letzten festen Wohnsitz ausgezogen). Ab Punkt 2 wurde die Sache dann komplizierter, da unser Haus nicht rechtzeitig fertig wurde. Na dann fangen wir doch einfach schon mit Punkt 3 an und nutzen die Übergangszeit bis zum Umzug sinnvoll. Und so haben wir es gemacht und die 6 Wochen Intensiv-Sprachkurs vorgezogen, anstatt uns erst einzurichten und dann damit zu beginnen.

 

Ein genialer Plan auf dem Papier und rückblickend auch gut, dass wir es so gemacht haben. Doch es ist dabei auch etwas auf der Strecke geblieben und das hat unsere vergangenen Monate bunt und schön, aber auch turbulent und rastlos gemacht hat.

6 Wochen Chichewa intensiv.

Wir haben mal gezählt. In unseren jetzt 9 Monaten in Malawi haben wir in insgesamt 21 Betten an 11 verschiedenen Orten geschlafen. Und einer dieser Orte war das kleine Dörfchen Mganja, zentral in Malawi gelegen, in dem eine katholische Schwester Chichewa-Kurse anbietet. Zweimal 3 Wochen haben wir dort gelebt und gelernt, gemeinsam mit anderen Sprachlernenden, Mitarbeitern und natürlich Sister Josepha, unserer Lehrerin, Aushilfsoma und Geschichtenerzählerin in Person. Ihr war keine Frage zu blöd und sie hat auch immer wieder gemerkt, wenn mal ein Tag nicht so gut lief und wir Ermutigung gebraucht haben. 

 

Wir sind und waren begeistert von unserer Zeit dort. Das Leben dort in einem kleinen Zimmer, mitten in einem kleinen malawischen Bergdörfchen war trotz des vielen Lernstoffs entschleunigend. Kein Strom - Handys aufladen mit Powerbanks, die tagsüber durch kleine Solarpanels aufgeladen werden. Bekocht werden von einem malawischen Koch auf dem Kohlekocher. 6 Wochen jeden Tag 2 Stunden Unterricht, 3-4 Stunden Hausaufgaben und dann noch der Versuch, das Gelernte irgendwie anzuwenden auf Spaziergängen durchs Dorf.

Jetzt mal ehrlich.

Es war vor allem eine ehrliche Zeit. Wir mussten ehrlich zu uns selber sein und uns eingestehen, wo unsere Belastungs- und Konzentrationsgrenzen liegen. Und besonders eine Grenze wurde und wird zur Zeit immer mehr bei uns ausgereizt: unsere Stolz-Grenze. Die Frage, wie weit wir bereit sind, alles, was wir mitbringen, zurückzustellen und ganz unten anzufangen. Komplett bei Null. Als Sprach- und Kulturlernender bist du wie ein Baby, vor allem in deiner Selbst- aber ein bisschen auch in der Fremdwahrnehmung. Die Demut, die es braucht, um das zu akzeptieren, haben wir nicht. Wir lernen sie gerade täglich, wenn wir mal wieder nicht verstanden oder ernst genommen werden. 

Und dann wird uns plötzlich ein Waisenkind angeboten.

Aber auch Malawi hat sich uns in dieser Zeit sehr offen und ehrlich präsentiert. Bei Sister Josepha haben wir so einiges mitbekommen, was hier eben auch zum Leben und Kultur gehört. Als alte und erfahrene "Mama" wird sie geschätzt und so immer wieder von Dorfbewohnern aufgesucht:

  • Da ist die Mutter eines kleinen Mädchens, die nicht weiß, wie sie damit umgehen soll, dass ihr Ehemann mit dem Trinken angefangen hat und so nicht mehr viel Geld nach Hause bringt.
  • Da sind die zwei jungen Frauen, denen das Maismehl ausgegangen ist und die nicht wissen, wie sie ihre Familien bis zur Ernte durchbringen sollen.
  • Da sind die zwei Mädchen, deren Familien die Mittel fehlen, sich um sie zu kümmern, und die daher von zu Hause abgehauen sind und nach einem neuen Zuhause suchen.

Letzteres hat dazu geführt, dass zwischenzeitlich auch wir als potentielle Pflegeeltern der zwei jungen Mädchen gehandelt wurden. Das war schon krass. Und irgendwie realisieren wir jetzt erst so richtig, was da eigentlich abging. Um so besser die Menschen dort in guten Händen zu wissen. Um die Sister hat sich ein Netzwerk von NGOs und Projekten gebildet, die versuchen, den Menschen dort eine Perspektive zu bieten.

Ein bisschen Real Talk zum Schluss. 

Wir sind froh und echt dankbar, dass wir diese Zeit des Herumreisens und Entdeckens haben durften, wohl wissend, dass es keine perfekte oder perfektere Vorbereitungszeit gibt. Aber wir sind auch echt happy, dass wir vor nun fast 4 Wochen in unser neues Zuhause ziehen durften (dazu mehr an anderer Stelle). Und irgendwie fängt auch jetzt das Verarbeiten von vielem erst so richtig an.

 

Wir haben uns Einblicke gewünscht und die haben wir bekommen. Was wir dabei wieder mal aufs Neue festgestellt haben: Mehr Informationen machen Probleme nicht unbedingt einfacher und Fragen nicht zwingend weniger. Gepaart mit den täglichen Stolz-vs-Demut-Triggern beim Sprachenlernen zeigt uns das momentan vor allem eins: 

 

Wir können hier gar nichts bewegen. Macher-Mentalität und Tatendrang in allen Ehren, aber wenn Gott hier nicht das Haus baut und uns an der Hand nimmt, hinterlassen wir hier nicht viel mehr als gut gemeinte Versuche (Ps 127,1-2). True Story. Und eine Einstellung, die wir in den nächsten Monaten einüben möchten.